Dr Rossbollakeenig

 


Was ich stets lustig fand waren die Spitznamen der jungen Bürger von St.Johann und Umgebung. 's Stoerle, 's Brennale, 's Pfefferle. Der Mischdr, die Gamsbichler (drei verchiedene gab’s), d'r Preschdling, d'r Gommistiefel, d'r Glitzi, d'r Schugg (abgeleitet von "Meschugge"), Heeawaelter (einst Bampfi, Stampfi,usw.) Naegelesbua.


Das erinnerte mich an die Cosa Nostra, die sich da ebenfalls allerhand Titel einfallen ließ; jeder gestandene Gangster hatte solch ein Alias. Und wie bei den Mafiosi in USA sagten sie oft etwas über ihre "Eigentümer" aus, was diesen nicht unbedingt schmeichelte. Manchmal war es geradezu gefährlich, Leute "falsch" anzusprechen. Nur Lebensmüde nannten etwa den Gründer von Las Vegas, Benjamin Siegel, "Bugsy" in seiner Gegenwart.

"Sag no oimol Fatzke zu mir!" warnte der Faxe einen Fremden mal. "Faxe", hingegen, war okay, das war bei der Zeichentrick-Serie "Vicki und die Vikinger" so'n großer Typ. Der Faxe, der mehr aussah wie der Wäschereibesitzer Robles in "Spiel mir das Lied vom Tod" - schwarze Haare, Bärtchen, blaue Augen, etwas rundlich, fuhr ein Honda CB 50 Mokick (Robles hatte freilich ein Gaul) - war ferner als Conti, Henna und (Captain) Chaos (der von "Auf dem Highway is die Hölle los") bekannt. Das gab’s also auch, dass ein "Disco" evtl. zu einem "Zapfa" wurde. Aber, wie gesagt, Joerg war ab und zu "'s Moggale", jedoch niemals offiziell "der Helikopter". (Was war denn ein "'s Moggale"? Ein "kleiner Smog"?)

Bei den Weibern war das anders. Ihren abgekürzten Namen wurden fast ausschließlich nur ein banales "i" angeheftet: Gabi, Angi, Uschi, Michi, Moni, Kessi, Geli, Uli, Susi, usw. (Unser welterfahrener Schultes war diesem System eins über: Er nannte seine Tochter "Viola", unkürzbar und kaum zu verändern. So war ein Imperativ wie "Komm ra, Violi!" ausgeschlossen.) Weit und breit aber keine Rossbollakönigin. Nur körperliche Attribute schienen als Kosenamen wie Pech zu haften: 's Rattagsicht (auch Gonzo Hokanohs), 's Kiegele, der REWE-Panzer, 's Gehänge. (Rauh, die Alb.) "Gonzos" positiver Aspekt, ihre überdurchschnittliche Intelligenz, wurde dabei einfach übersehen. Heuer wäre sie mir deshalb viel attraktiver als ihre Freundinnen, aber mit 16 ist diese Perspektive noch leicht verzerrt.

's Gehaenge war so nebenher mal meine Freundin Elke (die aus dem Hauswirtschaftssaal). Heute mag das anders, gar zutreffend sein, aber damals - frihr! - war ihr "Gehänge" nichts weniger als ein Wunder der Natur, das glaubt mir, Leute. Nur weil ihr es nicht in natura gesehen habt, braucht ihr nicht darüber zu lästern, Jungs. Ätsch, Gäbele.

Sogar die Alten (wenn sie irgendwie, sagen wir, im Gischbl als etwas farbiger als sonst auffielen) wurden umgetauft: Askari, Stumpakarle, Wirsching, Linksaußen, Oiser. Der Linksaußen war so'n komischer Eremit, der links am Ortsausgang hauste, wo dieses Autohaus heute ist. So einfach war das. (Man fand seine Leiche später weit weg, im Bodensee, echt komisch.) In so einer kleinen Gemeinde konnte man sie kaum verfehlen, dia mo "Oiga" waren.

Als ich einmal nach der Schule zu spät zum Posthof kam, nahm ich den Gächinger Bus, um wenigstens auf die Alb zu kommen. Von dort tappte ich los Richtung Würtingen. Noch am Stoss'schen Bushof hielt ein hellblauer VW Käfer ganz unaufgefordert. Drin saß einer mit Tirolerhut und Fuzzy-Bart, der aussah wie Catweasel. Durch das offene Beifahrertürfenster rief er mir zu, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Seine Gestikulation sagte frei übersetzt "Komm näher, Europäer" (wenn der wüsste...) Auch aus der Nähe konnte ich wenig von seinem Slang ausmachen; am Schwäbisch lag es nicht, seine Stimme war halt zu fusselig. Aaaaah, nach Würtingen war er unterwegs und er könne mich mitnehmen. Okay, Tür auf, reingesetzt... Der Beifahrersitz fehlte. Ab nach hinten. Überall waren Äpfel verstreut - Beinbruchgefahr! (ich las zu der Zeit schon die Bild).

"Witt a Äpfel?" Nein. Na. Noi, 's geht schon. Lassen wir’s, der Adam hatte deswegen nur Ärger, haha.

Mit 'nem Moschdäpfel im Hintern und welche unter den Füßen saß ich so still wie ein Kugellager da, als der Gute den Käfer beschleunigte. Windig war’s an jenem Tag, es wehte links vom Sportplatz ra durchs offene Fahrerfenster durchs Moschdauto und durchs Beifahrerfenster wieder hinaus. Seine Kippe glimmte wie eine Zündschnur ab. Gut, dass wir nur um die 30 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichten, sonst hätte ich mir die Schwindsucht geholt. Oder auch schlecht, denn der Mann hatte es gar nicht eilig, erzählte mir eine Story - oder eher seinem Außenspiegel. Nichts gehört, Pointe verfehlt, lachte ich trotzdem höflich. Denn: Es war witzig. Diese Situation war potenziell witzig, das merkte ich gleich. In 30 Jahren würden es meine Enkelkinder sicherlich auch so empfinden, wenn ich ihnen die Story auftischte... Bei diesem Tempo aber rückte die Möglichkeit, zeitig wie körperlich überhaupt Enkel zu haben, in weite Ferne.

Endlich in Würtingen angekommen (ich gab die Adresse des Bürgermeisters als die meinige an) lief ich den Rest des Weges. Am nächsten Tag fragte ich meinen Nebensitzer Guno, der Gächinger war, ob ihm dieser Catweasel denn bekannt vorkam. Kaum beschrieb ich das Auto, prustete er schon los, heulte nickend von einem "Charlie de Mungo" oder "Charlie der Mongo". Haha! Der Charlie hätte mal einen Gächinger Rotzlöffel bis nach Gomadingen gejagt (mir zu sagen warum, dazu kam der Guno nicht)! Haha, Charlie dies, Charlie das. Und der Chris setzt sich zu ihm ins Auto! Wenn das seine Gächinger erfuhren. Hoho! Mei, besser schlecht gefahren als gut gelaufen. Solange es nicht der Charlie Manson war.


Aber so hatte jedes Dorf so seine "Spezialisten", jung und alt. Der Würtinger Platzwart, ein verwitterter, uralter Knochen namens Richard, lief immer den Kindern nach und stupfte sie mit dem Finger in die Rippen: "Bisch a bissle a Gwitzgadr", "Bisch a bissle a Diggerle", "Glombadr". Leider tat er dies mal unserem Ivan an und der Ivan machte prompt damit weiter. Seit der Richard starb, ist er der Gwizgate. Dubiose Erbschaft.


Mein Ivan heißt so, weil ich ihn so nannte. Als er jünger war, sah er a weng aus wie der Alfred E. Neumann (sein Held in jungen Jahren. Zufall?). Er lachte aber ganz tief und laut wie ein Auto, das nicht starten wollte; wie einer, der zum ersten Mal ein Spülklo sieht; wie das Zeug so Kreischen dreht... Meine Oma sagte uns, die Russen hätten während dem II. Weltkrieg in ihren Schubladen ein Fahrrad gesucht, daher kam ich auf "Ivan".

Das heißt nicht, dass der Ivan ein (totaler) Dummbatz ist (haha, Buale, i han a Witzle gschissa, was bin ich ein gelumpter Siech). Er hat u. a. eine seltene Gabe, den doofsten Witz lustig erzählen zu können, nur mit Hilfe seiner eigenen Lache. Es war nur, dass er dieses Lachen schon auswendig konnte, bevor er irgendwelche Witze zu erzählen wusste.

Mei, außer mich ab und zu "Gries Löffel" zu rufen, fand offenbar niemand an mir etwas derart Bemerkenswertes, das mit einem Kosenamen hätte beschrieben werden können. Einerseits war das besser als ein Rossbollakeenig zu sein, aber auch ein Zeichen dafür, dass ich nicht ganz dazugehörte. Maybe war das aber nur meine Einbildung.